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Von Heinrich Deisl.

„Slowenien hat nur eine Chance, wenn es sich öffnet“

Porträt Igor Zabel (1958-2005)

Ein Porträt von Igor Zabel (1958-2005), Direktor der Moderna Galerija in Ljubljana und slowenischer Repräsentant im Advisory Board von tranzit.

Die Tomšičeva ist jene Straße in Ljubljana, entlang der sich eine der wahrscheinlich dichtesten Konzentrationen von Kunst in Mitteleuropa finden lässt. In der Nähe fließt die Ljubljanica vorbei, ein Stück flussabwärts beginnt das Konsulatsviertel. Jede Menge kleinerer Galerien, die Oper und eine der größten Buchhandlungen der Stadt sind auszumachen. Hier, in einer kleinen Senke zwischen den Böschungen und der Hauptverkehrsader Slovenska, kollidiert auf wenigen Gehminuten traditionelle slowenische Kunst in der Narodni Galerija und dem Narodni Museum mit aktueller in der Moderna Galerija.

Der Einfluss des Architekten Jože Plečnik auf das Stadtbild Ljubljanas ist beinahe schon erdrückend. Im Falle der Moderna Galerija hatte ihn aber seine Weitsicht scheinbar im Stich gelassen, wie deren Direktor Igor Zabel erzählt. Zwar war Plečnik mit dem Bau eines Hauses für aktuelle slowenische Kunst Anfang der dreißiger Jahre betraut worden, hatte aber nur das Konzept für eine kleine Halle abgeliefert. „Alle gute slowenische Kunst hat leicht darin Platz“, soll Plečnik argumentiert haben. Unzufrieden mit diesem Entwurf, wurde die Konstruktion an den Plečnik-Schüler Edvard Ravnikar weitergegeben, der damit seine erste große Arbeit verwirklichen konnte. Gebaut wurde ab 1939, 1941 kam der Krieg. So gliedert sich die Galerija bei Fundamenten und Fassaden in einen faschistisch-neoklassizistischen Teil und hinsichtlich des Innenausbaus und der Deckengestaltung in einen rationalisierten Beton-Zweckbau.

Der Direktor der Galerie, Igor Zabel, wurde 1958 in Ljubljana geboren. Er studierte Komparatistik und Philosophie an der Universität Ljubljana. „Damals war noch viel im Aufbruch, immerhin hatte man erst seit 1901 eine Universität, unterbrochen von zwei Weltkriegen. Außerdem gab es Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre eine sehr energetische Avantgarde-Szene in Ljubljana. Aber schon in dieser Phase erkannte ich, dass man mit diesen beiden Studienfächern nicht das große Geld machen würde, worauf ich anfing, Kunstgeschichte zu studieren“, grinst Zabel. Nach diversen Volontariaten kam er 1986 zur Moderna Galerija. Inzwischen ist er dort als „senior curator“ tätig, der Aufträge an jüngere Kuratoren vergibt. 2003 arbeitete er als Kurator für das Museum für Moderne Kunst in Wien und für die Biennale in Venedig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen vorrangig in den Bereichen der postkommunistischen Literatur und der Kunst in Ost- und Mitteleuropa. Er publizierte zwei Essaysammlungen zur Kunst in Slowenien seit 1945 und veröffentlichte zahlreiche Artikel in Katalogen und Magazinen. Und schließlich ist er slowenischer Repräsentant im Advisory Board der internationalen Künstler- und Kuratorengruppe tranzit (www.tranzit.org).

<Seismograf für aktuelle künstlerische Tendenzen

Man kennt sich in der slowenischen Hauptstadt untereinander. Schließlich hat Slowenien nur zwei Millionen Einwohner, die Metropole Ljubljana ist mit ihren rund 275.000 Einwohnern ein Drittel größer als Graz. Nach einer wechselvollen Geschichte und Jahrhunderten der Fremdherrschaft erlangte das Land 1991 seine Unabhängigkeit. Provinzialismus und die Notwendigkeit der Weltoffenheit sind hier aufs Engste miteinander verknüpft. Es kommt nicht von ungefähr, dass der Vorzeige-Philosoph Ljubljanas, Slavoj Žižik, Slowenien zwischen kultureller Supermacht und nationalistischem Kleingeistertum aufgerieben sieht.
Vor allem in der modernen Kunst manifestieren sich jene sozialpolitischen Strömungen, die Igor Zabel als Leiter einer staatlichen Institution adäquat zu repräsentieren versucht. Die Moderna Galerija umfasst eine fix installierte Ausstellung, in der slowenische Nachkriegskunst mit Fokus auf Konzeptueller und Zeitgenössischer Kunst gezeigt wird. Weil das Repertoire allerdings mittlerweile zu viel Platz einnimmt, werden mittels Rotationsprinzip immer wieder neue Schätze ans Tageslicht geholt. Mit umfassenden Aktivitäten wie der Wanderausstellung „ArtEast2000+“, in der osteuropäische Kunst seit den sechziger Jahren zur Disposition gestellt wird, fungiert die Moderna Galerija als Seismograf für aktuelle künstlerische Tendenzen auf dem schwierigen Weg der Identitätssuche.

Berührungsängste mit der eigenen nationalen Vergangenheit sind fehl am Platz: So wird die Moderna Galerija ab Herbst in Metelkova eine Dependance aufmachen. Die gleich hinter dem Bahnhof gelegene ehemalige Militärbasis hat sich nach dem Abzug der Volksarmee 1993 zu einer selbst verwalteten Enklave aktueller Kunstproduktion entwickelt. Dort ist die Moderna Galerija wieder auf Konfrontationskurs mit aktueller Kunst mit angestammten Initiativen wie dem SCCA (Institut für Zeitgenössische Kunst) und der Galerija Alkatraz.
Während in der Tomšičeva die alten Rebellen zur Ruhe kommen, setzt das synergetische Naheverhältnis Metelkova – Moderna Galerija Sprengkräfte für kommende Künstlergenerationen frei. Igor Zabel ist zufrieden: „Slowenien hat im internationalen Kontext nur eine Chance, wenn es sich öffnet. Ich erhoffe mir vom Zusammentreffen einer etablierten Kunstinstitution mit einem alternativen Jugendzentrum als zwei widersprüchliche und doch miteinander verbundene Einrichtungen eine gute Energie.“

Igor Zabel verstarb im Jahr 2005.





Moderna Galerija

Die Moderna Galerija besteht zum einen aus einer permanenten Ausstellungssektion über slowenische Kunst seit dem Zweiten Weltkrieg. Sie fungiert so als Aufbewahrungsort zeitgenössischer slowenischer Kunst. Dazu kommen abwechselnd Ausstellungen im nationalen und internationalen Kontext, meist angelegt auf Konzeptuelle und Post-Konzeptuelle Kunst. Die Moderna Galerija arbeitet eng mit anderen Galerien zeitgenössischer Kunst wie dem SCCA, der Galerija Alkatraz, der Galerija Kapelica und der Galerija Škuc zusammen.
Mitte Juni bis Mitte August findet in der Moderna Galerija die Retrospektive „Slovene Art 1985 – 1995“ statt.

Moderna Galerija Ljubljana: Tomšičeva 14, 1000 Ljubljana, Slovenija


Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,Juni 2004
> Link: Moderna Galerija Ljubljana > Link: tranzit- > Link: REPORT online-